KRAV MAGA (hebräisch עגמ ברק, auf deutsch schlicht Nahkampf) hat keinen einzelnen Gründer oder Erfinder, auch nicht Imi (Imrich) Lichtenfeld, anders als Wikipedia und vor allem einige Krav Maga Verbände uns heute Glauben machen möchten. Leider schreiben zahlreiche Journalisten und Autoren von Krav Maga Büchern voneinander und Wikipedia ab, ohne die Fakten zu überprüfen und nähren damit die Mär vom einzelnen Erfinder.
An dieser Stelle möchte ich Leistungen von Imi Lichtenfeld ausdrücklich würdigen. Er hat definitiv viel für die jüdische und israelische Gemeinschaft getan. Nur Krav Maga hat er eben nicht erfunden.
Dennoch ist Krav Maga ohne Zweifel eine jüdische Erfindung und in seiner heutigen Form definitiv ein Produkt der Bevölkerung Israels und seiner Vorläufer. An seiner Entwicklung und Veresserung haben in der Zeit seit 1880 viele vor allem jüdische und später israelische Menschen mitgewirkt.
Krav Maga wurde ursprünglich in den 30er und 40er Jahren im britischen Mandatsgebiet Palästina von einer namentlich bekannten Gruppe von jüdischen Instruktoren und Sicherheitsverantwortlichen entwickelt. Diese wiederum hatten ihrerseits selbstverständlich auch Input von verschiedenen Seiten. Letztlich könnte man erste Einflüsse schon um 1880 herum verorten. Zum Thema, was Krav Maga eigentlich genau, ist haben wir einen separaten Artikel veröffentlicht, in dem diese Strömungen auch berücksichtigt sind.
Das wesentliche Curriculum wurde also bereits lange gelehrt, bevor Imi Instructor in der Palmach und später in der IDF wurde. Nur hieß das System zu dieser Zeit bei den paramilitärischen und später militärischen Vorläufern der IDF noch KAPAP (Abkürzung für Krav Panim el Panim = Kampf von Angesicht zu Angesicht). Krav Maga als eigenständiger Term für ein Nahkampfsystem tauchte bei der IDF (Israeli Defense Forces, offizielle israelische Armee) nicht vor 1948 auf. Ab diesem Zeitpunkt wurden beide Begriffe eine komplette Dekade zwischen 1948 und 1958 für exakt den selben Wissenskomplex (Techniken und Ausbildungsweisen) benutzt, waren also synonym.
Das Gefühl, dass die Theorie des einzelnen Erfinders einfach nicht sein konnte, bestätigte sich schließlich. Die Wahrheit schmeckte aber vor allem denen nicht, die heute das Erbe vom Imi angetreten haben. Wir waren überrascht, wie engagiert sich einige für die Wikipedia-Version einsetzten und auch vor aggressiven Schritten uns gegenüber nicht halt machten. Im Konkurrenzkampf verschiedener Verbände und Organisationen versucht man sich u.a. damit zu legitimieren, die einzig wahren Nachfolger des Erfinders zu sein, während alle anderen angeblich nur schlechte Kopien darstellen. Hier spielen viele Egos genauso ihre Rollen, wie die Frage, wo die großen Umsätze der Krav Maga Industrie hin fließen. Manche Organisationen haben meisterhaft absolut fragwürdige Systeme etabliert, bei denen man über mehr als ein Jahrzehnt über 20 Level innerhalb des Systems erlangen kann. Natürlich nicht ohne unterwegs eine Menge Gebühren loszuwerden. Die Grundidee, die SchülerInnen so schnell wie möglich in die Lage zu versetzen, sich und andere effizient verteidigen zu können, bleibt dabei vollkommen auf der Strecke. Schließlich gibt es dann auch noch jene, die einfach ihr Leben lang die Geschichte von Imi geglaubt haben, weil es bei Wikipedia steht, weil es die IKMF oder KMW oder die eigenen TrainerInnen so erzählt haben. Natürlich ist es nicht angenehm zu verstehen, dass man hier falsch lag.
Unser Weg ist an dieser Stelle aber nicht zu Ende. Wir sind offen für neue Fakten. Wenn z.B. jemand Informationen darüber findet (bitte nur mit Faktencheck), dass Imi doch einen wesentlichen Teil zur Entstehung von Krav Maga beigetragen hat, so wäre es auch für uns eine Freude, die Geschichte in dieser Hinsicht anzupassen.
Eure Hinweise und Fragen dürft Ihr gerne über research@streetwise.academy an uns richten.
Uns stellt sich die Sache jedenfalls Stand heute so dar (alle Fakten wurden überprüft):
In Krav Maga machen wir nichts, „weil es der Meister gesagt hat“. Wir stellen alles in Frage und probieren es aus. Und dann machen wir es so, wie es am besten funktioniert (was aber wiederum i.d.R. den Best Practices von Krav Maga entspricht). Und so, wie wir in der STREETWISE ACADEMY immer hinterfragen, was wir gemeinsam lernen, wollten wir auch genauer verstehen, wie Krav Maga nun entstanden ist. Über 10 Jahre Recherche haben uns mit vielen wichtigen Vertretern des Systems zusammengeführt, dabei auch einige, die persönlich mit Imi Lichtenfeld trainiert haben.
Die fruchtbarsten Kontakte waren jedoch einige sehr engagierte Praktizierende und Wissenschaftler, wie z.B. Noah Gross, der über 13 Jahre lang zu dem Thema geforscht und dabei u.a. jahrelang IDF Archive zu diesem Thema durchforstet hatte. Die Ergebnisse seiner Arbeit hat er in einem Buch veröffentlicht, dass leider nur auf hebräisch existiert. Logischerweise sind die meisten Quellen grundsätzlich hebräisch und nur sehr wenig englisch (wie z.B. ein IDF Krav Maga Handbuch von 1964), was es für nicht hebräisch-sprachige Menschen schwierig macht, das Material zu verstehen.
Darüber hinaus gab es zu dieser Zeit noch einen dritten Begriff für diesen Wissenskomplex, der vor allem in der Zeit eine große Rolle spielte, bevor sich der Begriff Krav Maga durchsetzte: JUDO SHIMUSHI (übersetzt „praktisches, nützliches, gut anwendbares“ Judo). 1947 wurde in Erinnerung an Gershon Kopler und Yehuda Marcus ein Handbuch unter eben jenem Namen „Judo Shimushi“ veröffentlicht. In diesem wird vor allem diesen beiden der Verdienst angerechnet, genau diesen Content, der auch als Kapap und Krav Maga bezeichnet wurde, zusammengestellt und systematisiert (nicht erfunden!) zu haben. Exakt dieses Handbuch diente als wichtigste Referenz für sämtliche Kapap / Krav Maga Kurse in der SCHOOL FOR PHYSICAL TRAINING, in der alle Nahkampfausbilder der IDF ausgebildet wurden. Dieses Handbuch blieb 13 Jahre lang die Grundlage aller einschlägigen Trainings. 1960 wurde dann ein neues Handbuch mit dem Titel KRAV MAGA veröffentlicht (Zur Einordnung: Imi Lichtenfeld dagegen diente hier erst ab dem Jahr 1948 und bis ins Jahr 1964 hinein.).
Dieses 1960 erschienene Handbuch mit dem neuen Titel KRAV MAGA enthielt keine inhaltlichen Veränderungen gegenüber dem Handbuch von 1947. In ihm manifestierte sich jedoch die Tatsache, dass Krav Maga nun der bevorzugte Term zur Bezeichnung des gegenständlichen Wissenskomplexes geworden war. Kapap und Krav Maga waren also mindestens bis 1958 inhaltlich gleich. Imi hat dieses Wissen demnach weder erfunden noch wesentlich verändert oder weiterentwickelt. Darüber hinaus gibt es keine Verbindung zwischen Bratislava und Krav Maga, wenn Imi Krav Maga nicht erfunden oder weiterentwickelt hat.
Zu Imi Lichtenfeld wissen wir Folgendes:
Imi wurde Kapap Instructor in der Palmach und später Kapap / Krav Maga Instructor in der IDF. Sein Beitrag zur Auswahl der Techniken, die es ins offizielle Curriculum der School of Physical Training schafften, und der Frage, wie sie vermittelt wurden, war minimal bis nicht existent. Imi erlangte die Rolle des leitenden Ausbilders über die Zeit, und nicht unmittelbar von Beginn an. Faktisch gab es den Titel CHIEF KM INSTRUCTOR bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre gar nicht. Am wahrscheinlichsten wurde er um 1960 herum das erste Mal eingeführt.
1953 wurde die IDF einer Revision unterzogen. Während dieses Prozesses wurde auch die School of Physical Training noch einmal genau angesehen. Es wurde für jede Disziplin, die dort ausgebildet wurde, eine Kommission gebildet. Eine davon war die Kommission für die Nahkampfausbildung, deren Leiter Imi wurde. Es gab absolut klare Vorgaben, was die Aufgabe dieser Kommission sein sollte. Eine davon war, das Judo Shimushi Handbuch so zu überarbeiten, dass es für die Bedürfnisse von Angehörigen der verschiedenen Kampfeinheiten im Rahmen der Grundausbildung optimiert würde.
Dies war die einzige formale (im Wesentlichen organisatorische, weniger inhaltliche) Revision, der Kapap, bzw. Krav Maga vor 1964 unterzogen wurde, dem Jahr, in dem Imi den Militärdienst beendete. Außerdem wird hier erkennbar, dass faktisch das Judo Shimushi Handbuch, welches Imi weder entwickelt noch erfunden hatte, das Handbuch war, welches die IDF als Krav Maga Handbuch verwendete.
Imis eigentlicher Beitrag, neben der Tatsache, dass er jahrelang an der Ausbildung innerhalb der Palmach und später der IDF mitgewirkt und damit in gewisser Weise auch seinen Stil mit eingebracht hat, ist der Fakt, dass er nach seinem Rücktritt im Jahr 1964 sein Wissen nutzte, um diesen israelischen Nahkampfstil für die Zwecke der Selbstverteidigung zu optimieren und dieses Wissen in die zivile Welt
(zunächst neben Israel in die USA) brachte.
Wer unbedingt Namen im Zusammenhang mit der Entwicklung von Krav Maga nennen möchte, sollte wohl Gershon Kopler (Jiu-Jitsu & Boxen), Yehuda Markus (Jiu-Jitsu & Judo), der übrigens aus Deutschland kam, und Maishel Hurwitz (Stockkampfmethoden, oben auf einem Foto mit Noah Gross) nennen.
F: Hat Imi Lichtenfeld, nachdem er 1942 in das britische Mandatsgebiet emigrierte, Krav Maga erfunden ?
A: Nein, hat er nicht. Krav Maga existierte zu diesem Zeitpunkt bereits, wie aus den obigen Recherchen zu entnehmen ist.